Die Schweizerische Zivilgesellschaft fordert bei der UNO mehr Achtung der Menschenrechte

Die Schweiz hat soeben ihre Überprüfung vor dem UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (WSK-Rechte) abgeschlossen. Die an diesem Anlass ebenfalls vertretenen zivilgesellschaftlichen Organisationen ziehen eine zwiespältige Bilanz. Die Arbeitsgruppe «Pakt I» der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz hatte vor der Überprüfung den Parallelbericht der Zivilgesellschaft eingereicht, also eine Art «Schwarzbuch» zu den WSK-Rechten in der Schweiz.

Die Zivilgesellschaft begrüsst die Ankündigung des Bundes, dass der Bundesrat Ende des Jahres die Schaffung einer nationalen Menschenrechtsinstitution beschliessen wird. Diese schon seit langem bestehende Forderung der Zivilgesellschaft soll nun endlich erfüllt werden. Die zivilgesellschaftliche Delegation bedauert jedoch, dass diese Institution nicht befugt sein wird, Beschwerden entgegenzunehmen, was gegen die Pariser Prinzipien verstösst, obwohl die Schweiz verpflichtet ist, diesen Standard einzuhalten.

Die Delegation bedauert zudem, dass die Schweiz nicht beabsichtigt, das Fakultativprotokoll zum UNO-Pakt I zu unterzeichnen, welches erlaubt, bei Verstössen gegen die WSK-Rechte direkt beim UN-Ausschuss Beschwerde einzureichen. Die Argumente der Schweiz wurden von den UN-Expert*innen als «nicht überzeugend» bezeichnet.

Die Schweiz ist heute einer der letzten Vertragsstaaten, der die Position vertritt, dass die WSK-Rechte lediglich als programmatische Grundsätze und Ziele zu betrachten seien, nicht aber als rechtliche Verpflichtungen. Diese Position ist nicht mehr haltbar und wurde vom WSK-Ausschuss erneut kritisiert. Für Léa Winter von FIAN Schweiz, die den Parallelbericht koordinierte, ist es «dringend erforderlich, dass die unmittelbare Anwendbarkeit des Paktes von den kantonalen und nationalen Gerichten anerkannt wird». Zudem hat der Ausschuss wiederholt betont, dass «die Schweiz sich nicht mit Hinweis auf ihr föderales System ihren internationalen Verpflichtungen entziehen kann».

Die Expert*innen waren auch besorgt über die Art und Weise, wie Asylbewerber*innen in der Schweiz behandelt werden. Das Verbot der Arbeit und der Berufsausbildung, die Hindernisse für die Familienzusammenführung, die Unterschiede bei der Sozialhilfe oder die Unterbringung in unterirdischen Unterkünften wurden eingehend kritisiert. Laut dem Verantwortlichen vom SEM ist die Zulage von «zehn Franken pro Tag für Nothilfebeziehende nur eine Art Taschengeld, da alle ihre Bedürfnisse gedeckt sind»! Schockiert über solch eine Aussage weist Raphaël Rey vom «Observatoire romand du droit d’asile et des étrangers» auf die schwerwiegenden Konsequenzen für die körperliche und geistige Gesundheit von Menschen hin, die über einen längeren Zeitraum in solch einer Situation festsitzen. «Es wird diesen Menschen untersagt, eine Arbeit auszuüben, und zahlreiche junge Menschen sind gezwungen, ihre Ausbildung aufzugeben, obwohl ihre Ausweisung in der Praxis unmöglich ist.»

Zahlreiche weitere Mängel der Schweiz wurden bei der Überprüfung erwähnt, wie z.B. das Fehlen eines gesetzlichen Rahmens für die Aktivitäten multinationaler Unternehmen mit Sitz in der Schweiz, die mangelnde Kontrolle von Arbeitsbedingungen und Löhnen, die fehlenden Betreuungsmöglichkeiten für 20 % der Kinder und die Nichteinhaltung der Verpflichtung der Schweiz, 0.7 % des Bruttoinlandprodukts für Internationale Zusammenarbeit zu verwenden. Aber auch eine ambitionslose Klimapolitik, das Fehlen von Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen vor der Unterzeichnung von Freihandelsabkommen oder die Unmöglichkeit der Wiedereinstellung von Arbeitnehmenden sowie abschreckender Sanktionen gegen Arbeitgebende im Falle von gewerkschaftsfeindlichen Entlassungen.

Der Ausschuss wird seine Empfehlungen Ende des Monats veröffentlichen, und die Zivilgesellschaft wird sich dafür einsetzen, dass diese auch umgesetzt werden.

Die Erneuerungswahl der schweizerischen Bundesversammlung am 20. Oktober wird ebenfalls ein entscheidender Moment sein, den es zu nutzen gilt, um die Menschenrechte weiter zu stärken.

Es war nun das dritte Mal, dass sich unser Land der Überprüfung der Umsetzung des Internationalen Paktes über WSK-Rechte (Pakt I) seit seiner Ratifizierung im Jahr 1992 unterzog, diesmal mit einer Verspätung von drei Jahren. Die Überprüfung bot Gelegenheit, Bilanz zu ziehen, was den Schutz und die Verwirklichung der WSK-Rechte in unserem Land betrifft, wie z.B. die Rechte auf einen angemessenen Lebensstandard, auf Arbeit, Gesundheit, soziale Sicherheit, Bildung und kulturelle Teilhabe.

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